Acht Erkenntnisse über Empfindsamkeit

Die Vierziger sind wahrlich die schönste Zeit meines Lebens! Ich bin so dankbar für mein Leben, meine Gesundheit, meine Tochter, meinen beruflichen Erfolg und ich genieße, dass ich einen Erfahrungsstand erreicht habe, an dem ich viele Ereignisse im Leben mit mehr Leichtigkeit (und Kenntnisse darüber, wie der Hase läuft) erleben und genießen kann.

Natürlich brauchte es bis dahin einige Jahre und Lernphasen, die ich mir für dich einmal bewusst gemacht habe. Heute teile ich mit dir meine acht wichtigsten Erkenntnisse für ein schönes Leben, auch mit Fibromyalgie.

1.    Auch positive Veränderungen können belastend sein

Wer feinfühlig ist, dessen Gehirn ist ebenfalls empfindsamer als das anderer Menschen. Früher habe ich darunter gelitten, wenn ich aufgrund der hohen Verarbeitungssensitivität mehr Energie und teilweise auch Zeit benötigte, um neue Informationen zu verarbeiten. So sehr ich ein dynamischer Mensch bin, der Veränderungen grundsätzlich liebt, habe ich erfahren, dass selbst positive Veränderungen im ersten Moment auch zur Belastung werden können. Deshalb gehe ich heute Begegnungen mit erhöhtem Menschenauflauf, Lärm und anderen Reizüberflutungen wie Konzertbesuchen sehr achtsam an. Ich horche und fühle immer wieder in mich hinein, um zu prüfen, wie mein System die Außenwelt gerade wahrnimmt, wie es reagiert. Mit dieser Bewusstheit kann ich sehr viel früher merken, wann mir etwas zu viel wird, ich frische Luft brauche und insgesamt, auch anderen gegenüber, besser reagieren kann.

2.    Worte und Gesten überanalysieren

Wenn ich 20 Jahre zurückdenke, habe ich damals sehr viele Dinge, Aussagen, Handlungen persönlich genommen. Heute weiß ich, dass die meisten Dinge, die Menschen sagen, mehr über den Sender selbst aussagen als über mich. Ich kann innerlich Abstand nehmen. Damals war das anders: Ich habe jede Kleinigkeit wahrgenommen (das tue ich heute noch) und habe diese analysiert, um ihnen eine Bedeutung beizumessen. Du kennst sicherlich die Bezeichnung „jedes Wort auf die Goldwaage legen“ – so ungefähr darfst du es dir vorstellen. Wie ein wandelnder Lügendetektor nahm ich Entgegnungen in ihre Einzelteile auseinander: Wortwahl, Tonfall, Körperhaltung, Mimik, Gestik usw. Heute verbringe ich meine Zeit effizienter. Ich halte mich nicht mehr so lange mit Einzelheiten auf. Zwar erkenne ich widersprüchliches Verhalten genauso wie damals, aber ich stelle wenig Bezug zu mir her. Das entlastet mich sehr.

3.    Nur wenige soziale Kontakte

Da ich ein feines Gespür für die Stimmung und Energie anderer Menschen habe, mache ich mir diese Fähigkeit schon seit vielen Jahren zunutze. Nachdem ich vor zwölf bis fünfzehn Jahren meine privaten Beziehungen stark aufgeräumt habe, ist mein Privatleben sehr aufgeräumt. Ich hatte festgestellt, dass mir oberflächliche Bekanntschaften nur Energie rauben statt mir welche zu schenken. Die logische Konsequenz für mehr Lebensqualität war also, mich von einigen Menschen zu trennen. Natürlich bestand die Aufgabe auch darin, zu lernen, mit mir selbst zu sein, meinen Gedanken zu lauschen und im Alleinsein auch glücklich zu sein. Mit dieser Entwicklung hat sich in mir ein Knoten gelöst und ich bin nach wie vor dankbar. Bis heute wähle ich meinen Freundeskreis mit Bedacht aus.

4.    Urlaub bedeutet nicht automatisch Erholung

Vielleicht kennst du das: Du hast Fernweh und willst eine neue Gegend erkunden? Du planst einzelne Stationen und platzt vor Vorfreude? Das ist mir ebenfalls sehr vertraut. Ich liebe es, Neues zu entdecken und gleichzeitig habe ich festgestellt, dass es auch hier ein Maß gibt, das ich nicht überschreiten will. Habe ich doch die Erfahrung gemacht, dass zu viele Punkte wie Flugstunden, fremde Betten, fremde Sprache und Gepflogenheiten, die Bandbreite des Sightseeings und Schießen unzähliger Urlaubsfotos mehr Stress als Erholung bedeuteten. Heute gehe ich auch hiermit bewusster um: Im Urlaub reichen ein bis zwei Programmpunkte am Tag, der Rest darf pures genießen, Ankommen im Moment sein.

5.    Unterzuckerung und Ärger sind eine schlechte Kombi

Hunger ist sicherlich für niemanden angenehm, doch bei mir wirken sich die Einbrüche und das Ausschlagen des Blutzuckerspiegels stärker aus als ich das anderen wahrnehme. Meine Psyche und Reizbarkeit haben definitiv ein Level, in dem ich nicht mehr diskutieren – sondern erstmal einen Schokoriegel essen sollte. Ansonsten geht mein Gegenüber das Risiko ein, von mir im Falle der Verärgerung einen Wortschwall entgegen gebracht zu bekommen, von dem sich nicht alle Gemüter schnell erholen. Wie ist das bei dir? Ich trage seit dieser Erkenntnis ständig ein Notdepot mir mir herum.

6.    Emotionale Erschöpfung ist übertragbar

Nicht nur Gähnen steckt an. Wenn sich mein Partner früher abends müde und noch mit Schuhen aufs Sofa warf oder heute meine Tochter mit übelster Laune nach Hause kommt, übertragen sich ihr Stress, ihre Stimmung und Anspannung häufig auf mich; selbst wenn ich ganz bewusst reagiere und beruhigend darauf eingehe. Niedergeschlagenheit ist auch so ein Fall, in dem ich die Gefühle schnell absorbiere und somit nicht nur meine eigenen Emotionen, sondern teilweise auch die meines Umfelds mit trage oder sogar auslebe.

7.    Andauernder Schlafmangel bewirkt eine Komplettüberlastung

Ob ich als Fibro-Patientin nun mehr Schlaf als andere benötige oder ob sich bei mir die Wechseljahre ankündigen: Meine Erfahrung ist, dass ich zwar mal ein paar Tage mit weniger als sechs Stunden Schlaf auskomme. Meine Konzentration, meine Leistungsfähigkeit und meine Motivation sinken mit jeder Stunde, die ich nicht genug geschlafen habe. Ich habe mich schlau gemacht und brauche nachweislich mehr Schlaf aufgrund meiner überdurchschnittlichen Verarbeitungstiefe. Mein Kopf und Körper brauchen diese wichtige Schlafenszeit, um die Reizmenge zu verarbeiten, innere Balance wieder herzustellen und um mein System zu entlasten.

8.    Sowohl sehr schöne als auch sehr anstrengende Erfahrungen wirken lange nach

Die Botschaft einer unheilbaren Krankheit, ein TV-Drama oder Situationen mit Gewaltempfinden können bei mir durchaus tiefgehende Schmerzen auslösen, die keinen pathologischen Grund haben müssen. Genauso schaffen es besonders berührende, schöne Momente, herzerwärmende Emotionen und Tränen in mir auszulösen, die tagelang nachwirken können.

 

Ich hoffe, dass Dir die Erkenntnisse aus meinen Erfahrungen weiterbringen werden und Du den einen oder anderen Impuls daraus mitnehmen kannst. Beobachte Dich doch einfach mal selbst und schaue, ob der Dreh an kleinen, bewussten Stellschrauben Dein Leben verbessern und noch wertvoller machen. Wenn es etwas bewirkt, teile dies gern mit mir!

 

Herzlichst,

 

Deine Miriam

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Sabine (Dienstag, 03 Oktober 2023 03:21)

    Liebe Miriam, ich habe vieles wiedererkannt und konnte oft mit dem Kopf nicken. Mein Problem ist, dass ich mich häufig zwischen zwei negativen Alternativen entscheiden muss und dann nicht weiß, wie ich mich vor den Folgen/Triggern schützen kann. Wie gehst du damit um?

  • #2

    Miriam (Dienstag, 03 Oktober 2023 07:27)

    Liebe Sabine,
    das müsste man sich im Einzelnen anschauen; Pauschalaussagen sind hier destruktiv. Ich gehe tendenziell in die Vermeidung solcher Trigger-Situationen, weiß aber auch, dass zu viel Vermeidung einsam machen kann.
    Ich lasse Schritt für Schritt nur noch Menschen in mein Privatleben, die mir guttun.
    Im Beruf habe ich an der professionellen Haltung gearbeitet, nichts mehr persönlich zu nehmen.