Im Jahr 2011, als ich mein Berufsleben komplett auf Neustart setzte, habe ich sehr viel Zeit mit mir allein verbracht. Ich glaube, dass dies die Zeit war, in der ich überhaupt erst so richtig gelernt habe, mit mir selbst klarzukommen. In meinen Zwanzigern konnte ich mir meistens Besseres vorstellen, als allein zuhause rumzuhängen. Und nichts vorzuhaben, war ja irgendwie auch sonderbar – zumindest hatte ich damals den Eindruck, dass man als Sonderling durchging, wenn man sich zurückzog und isolierte. Aufgrund meiner damals noch unklaren Erkrankung, meiner Angst vor der Diagnose, meiner Angst vor der Zukunft und meiner Freistellung von meinem Job als Geschäftsführungsassistentin war ich es dann aber: auf mich gestellt. So hatte ich viel Zeit für mich, um mir klar darüber zu werden, wie ich weiterleben konnte und wollte.
Doch noch bevor ich die Kraft aufbrachte, mich mit zukünftigen Möglichkeiten zum Geld verdienen auseinanderzusetzen, stellte ich fest, wie schwer es mir fiel, mit meinen Gedanken endlich mal ganz bei mir zu bleiben und eben nicht immer wieder zu anderen, ins Außen abzudriften. Wenn ich mit meiner Aufmerksamkeit ganz bei mir blieb, bedeutete das, dass meine Gefühle immer mehr Raum einnahmen. Herrje, wie mächtig meine Gefühle waren! Das tat weh! Es trieb mir die Tränen in die Augen. Es lähmte mich! Wenn es auch zehntausende Möglichkeiten gab, sich vor anderen „Gefahren“ im Leben zu schützen – vor den eigenen Gefühlen wegzulaufen ist schier unmöglich. Man kann sich kurzzeitig betäuben, ablenken und in Daueraktionismus beschäftigen... Doch sie sind trotzdem da. Sie raubten mir jede Konzentration, sie brachten mich um den Schlaf. Nach mehreren Wochen (oder waren es Monate?) gab ich nach und ließ sie zu.
Heute, zwölf Jahre später, gebe ich Trainings für Loyale Führung mit emotionaler Intelligenz. Ich habe viel Zeit damit verbracht, mich mit Emotionen, psychologischer Sicherheit, psychologischen und systemischen Zusammenhängen vertraut zu machen, um Teamdynamiken in der Tiefe zu verstehen. Dieses Wissen um die emotionale Intelligenz möchte ich Dir weitergeben.
Menschen sind unterschiedlich emotional intelligent, doch worin unterscheiden sie sich? Dazu hat die australische Psychologin Carolyn McCann in 2020 eine Untersuchung mit Studierenden durchgeführt, um den Zusammenhang zwischen Intelligenzquotienten und emotionaler Intelligenz in Bezug auf deren Erfolgsaussichten zu messen. Dabei kam heraus dass diejenigen Schülerinnen und Schüler mit einer höheren emotionalen Intelligenz besser mit Emotionen wie Angst, Stress, Langeweile oder Enttäuschung umgehen und stärkere Beziehungen aufbauen, was sich positiv auf deren akademische Leistung auswirken kann.
Nach der Definition von Salovey, Mayer und Goleman ist emotionale Intelligenz die Fähigkeit, Informationen über die eigenen und die Gefühle anderer Menschen zu verarbeiten. Goleman beschreibt fünf Säulen der emotionalen Intelligenz:
1. Säule: Selbstwahrnehmung
Selbstwahrnehmung ist die Fähigkeit, die eigenen Gefühle, emotionalen Auslöser, Stärken, Schwächen, Motivationen, Werte und Ziele zu erkennen und zu verstehen, wie sie unsere eigenen Gedanken und unser Verhalten beeinflussen. Wenn wir uns gestresst, genervt, gelangweilt oder niedergeschlagen fühlen, ist es wichtig, herauszufinden, warum das so ist. Erst wenn wir in der Lage sind, das Gefühl zu benennen und die Ursache zu verstehen, können wir Lösungen finden.
2. Säule: Selbstmanagement
Selbstmanagement beschreibt die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren; sie beruht auf der Selbstwahrnehmung. Alle Menschen haben mal schlechte Laune, Ärger oder Stress. Selbstmanagement
ist die Eigenschaft, diese Emotionen bewusst zu regulieren, anstatt sich von ihnen kontrollieren zu lassen.
Das könnte bedeuten, dass Du in stressigen oder aggressiven Momenten nicht sofort reagierst, sondern eine Nacht drüber schläfst und dann überlegt entscheidest, wie Du mit der Situation umgehen
willst. Das beeinflusst nämlich stark unsere eigene mentale Gesundheit.
3. Säule: Motivation
Motivation ist das, was uns von innen heraus antreibt und veranlasst, Zeit, Kraft und weitere Ressourcen in etwas zu stecken. Mein innerer Motivator ist es, Loyalität in die Arbeitsbeziehungen zu
bringen, und zwar von Unternehmensseite aus.
Gerade wenn wir mit Rückschlägen konfrontiert werden, ist es wichtig, dass wir uns an unsere Motivation erinnern, um weiterzumachen.
Menschen mit geringerer Motivation sind eher risikoscheu und ängstlich statt lösungsorientiert. Leider kann die mangelnde Begeisterungsfähigkeit einer Person ein ganzes Team demotivieren. Das gilt für das private Umfeld genauso. Diejenigen wiederum, die motiviert und stolz auf ihre Arbeit, ihr Hobby, ihren schönen Garten oder sonstiges sind, teilen ihr Wissen offener und haben mehr Energie.
4. Säule: Einfühlungsvermögen
Empathie ist die Fähigkeit, sich emotional in andere hineinzuversetzen und ihre Gefühle, Sorgen und Standpunkte nachzuvollziehen. Diese Fähigkeit ist besonders wichtig, wenn man ein Team führt oder Familienoberhaupt ist, denn sie ermöglicht es, die Bedürfnisse und die Reaktionen des Gegenübers vorauszusehen. Darüber hinaus ist Empathie auch eng mit Innovationsfähigkeit verknüpft.
5. Säule: Beziehungsmanagement
Beim Beziehungsmanagement geht es vor allem um zwischenmenschliche Fähigkeiten – um die Kompetenz, echtes Vertrauen, Verbundenheit und Respekt aufzubauen. Ein Mensch mit hoch ausgeprägter Beziehungsmanagementkompetenz ist in der Lage, andere zu inspirieren, zu führen und weiterzuentwickeln, was sich erheblich auf die Stimmung, die Beziehungsqualität und die gemeinsame Entwicklung auswirkt.
Emotionale Intelligenz ist also in ihrer Komplexität ungemein wichtig für unsere Selbstakzeptanz, unser Wohlfühlen in uns selbst sowie für unser menschliches Miteinander. Insofern ist es mir mit meinem heutigen Wissen ein großes Anliegen, dass sich jeder, wirklich jeder Mensch in seinem Leben mit seiner emotionalen Seite beschäftigt und sich bewusst darüber wird, wie viel Einfluss er auf seine eigene und die Lebensqualität der Menschen um ihn herum ausübt.
Seitdem ich dieses Wissen habe, achte ich genau darauf, mit wem ich wie viel Zeit verbringe und wie ich mir selbst guttun kann, um allen Herausforderungen des Lebens bestmöglich zurechtzukommen. Insofern lade ich auch Dich ein, Dir die folgenden Fragen selbst zu beantworten:
- Wie geht es Dir heute wirklich? Was trägt zu dieser Stimmung bei? Welche Faktoren können Deine Stimmung heben?
- Hast Du ein Feingefühl für die Stimmungen der Menschen um Dich herum? Wie wirken sich ihre Stimmungen auf Dich aus? Willst Du das so?
Und vielleicht hat hast Du einen wachen, motivierten Menschen neben Dir, mit dem Du auch diese Fragen austauschen und beantworten kannst:
- Was zeichnet Euch menschlich aus?
- Wie ist Eure Beziehung zueinander?
- Gibt es etwas, das Eure Beziehung auf menschlicher Ebene noch wertvoller machen könnte?
Ich bin mir sicher, dass Dir die Antworten auf diese Fragen guttun bzw. Dich weiterbringen werden. Und falls Du Erkenntnisse gewinnst, die Dich Dein Leben noch wertvoller für Dich gestalten lassen, dann teile dies gern mit mir!
Herzlichst,
Deine Miriam
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Friedmann (Sonntag, 03 September 2023 09:27)
Hallo Miriam,
deine Zeilen haben mich schon im Juni, als das Heft kam inspiriert. Ich habe es zur Seite gelegt um dir zu antworten. Jetzt ist es doch September geworden.
Mittlerweile bin ich 70 Jahre alt und habe 60 Jahre gebraucht um jetzt deinen Text zu verstehen.
Die Lebenszeit von meinem Ehemann ist nur noch sehr begrenzt. Deshalb nutze ich jede Minute die ich haben kann für mich. Egal in welcher Situation.
Den meisten Menschen fehlt das Vertrauen in sich selbst. Weil schon im Kindesalter ERZOGEN wird und wenn der Ausgang daraus gefunden ist wird man zum Außenseiter.
Diese fehlende Selbstwertgefühl wieder zu finden dauert oft Jahre und kostet viel Geld.
Ich bedanke mich für deine Zeilen.
Schönen Sonntag noch....
Waltraud Friedmann
info@waltraudfriedmann.de